So sollen Roboter die vorausschauende Instandhaltung in der Chemieanlage bringen

2023-03-23 14:18:49 By : Mr. Beck Jin

Luke Skywalker hat ihn, die Crew der Enterprise kann nicht ohne und selbstverständlich will auch Captain Future nicht auf ihn verzichten: Ein Roboter-Freund hat schon manchem Science-Fiction-Helden aus der Patsche geholfen. Jetzt fallen die hilfreichen Blechbüchsen in die Chemieanlage ein, wo sie die Instandhaltung unterstützen sollen. Ist der Einzug der Inspektions-Roboter der erwartete Aufstand der Maschinen oder kommen sie, um ein neues Zeitalter der Produktivität einzuläuten?

Er ist gelb, etwa so groß wie ein Hund und läuft auf vier Beinen. Treppauf, treppab, während ein schwarzer Kopf in alle Richtungen späht. Er hält sein Revier rund um die Uhr im Blick und - treuer Freund, der er ist – „schlägt an“, wenn ein Mitarbeiter verunfallt oder gestürzt am Boden liegt. Allerdings dreht dieser besondere Vierbeiner seine Runden nicht im Stadtpark, im Forst oder auf einem weitläufigen Anwesen, sondern in einer Chemieanlage. Moment Mal – Ein Hund in der Chemie? In einem Betrieb, in dem aus gutem Grund niemand ohne Sicherheitsbelehrung, Helm und Einweisung einfach so herumstreunen kann? Genau so ist es. Und nicht nur das: „Spot“, so der Name dieses Wundergeschöpfes, macht all das ganz allein. Kein Mitarbeiter muss ihn an einer Leine durch die Anlage führen, niemand ihm den Weg zeigen oder ihn über Treppenstufen heben. Spot dreht seine Runden, zuverlässig und unermüdlich.

Denn Spot ist kein Hund aus Fleisch und Blut, sondern ein Roboter. Er soll auch keine Pantoffeln oder Stöcke apportieren, sondern Messwerte beschaffen und Inspektionsrundgänge in Chemie, Kraftwerken oder Öl- und Gasanlagen durchführen. So wie bei Evonik: Das Spezialchemieunternehmen testet seit Januar einen derartigen autonomen Roboter-Vierbeiner zur Inspektion einer Versuchsanlage.

Um sich in der Anlage mit ihren engen Gängen und Stiegen zurechtzufinden, braucht es Köpfen. Und das hat der Roboterhund: Mit einer im „Kopf“ befindlichen Kamera, einer Wärmebildfunktion und diversen Sensoren kann sich Spot nicht nur selbstständig in der Anlage orientieren, sondern auch Messgeräte ablesen, Temperaturen erfassen oder Defekte aufspüren.

Angepasst an die Anforderungen des Industriebetriebs absolviert der mobile Roboter automatisiert Inspektionsrouten, liest dabei Messwerte aus und sammelt Daten – auch von Messstellen, die für den Menschen schwierig zu erreichen sind. (Bild: Evonik)

„Die autonome Inspektionslösung hat uns davon überzeugt, dass mobile Roboter in der Lage sind, Inspektionsaufgaben konsistent durchzuführen und sicher genaue Informationen zu liefern“, erläutert Dr. Uwe Piechottka, Process Technology & Engineering für Digital Process Technologies bei Evonik. Seine Hoffnung: Die auf diese Weise gesammelten Daten könnten helfen, frühzeitig Anomalien wie zu hohe Temperatur, Leckagen oder Verschmutzungen zu erkennen oder Durchflussmengen und Druckwerte auszulesen, ohne das ein Mitarbeiter vor Ort sein muss. Auch könne der Einsatz von Robotern dazu dienen, die in der Chemie geforderten hohen Sicherheitsstandards zu gewährleisten.

Robo-Hund auf Rundgang: Chemieunternehmen setzt Roboter in der Instandhaltung ein

Vorausschauende Wartung per Roboter – das überzeugt nicht nur Evonik, sondern auch Merck, die einen Artgenossen des Evonik-Spot nutzen, um die Abluftreiningung am Merck-Stammsitz in Darmstadt zu inspizieren. Die Robo-Hardware kommt dabei von den Roboter-Vorreitern Boston Dynamics, das Anwendungsknowhow aber aus Deutschland: Energy Robotics, eine Ausgründung der TU Darmstadt, bringt den Robotern das Wissen bei, dass sie für den Einsatz in Industrieanlagen brauchen – und das unabhängig vom verwendeten Maschinentyp. Ob sich Kollege Roboter auf Raupenketten oder eigenen "Füßen" durch die Anlage bewegt, ist für die Software unerheblich und kann, je nach Einsatzzweck, ausgewählt werden.

Gehört die Zukunft der Instandhaltung autonomen Robotern? Bei BASF will man das nicht ausschließen. Der Chemiekonzern setzt in Ludwigshafen vierbeinige Roboter des Züricher Start ups Anybodics für verschiedene Inspektionsaufgaben ein. Wie das aussehen kann, verraten Peter Welter, Automation Manager der BASF und Asset-Manager Felix Volkmann auf dem Smart Process Manufacturing Kongress!

Mithilfe intelligenter Software von Energy Robotics liefert Spot konsistente Daten zur Verbesserung der Anlageneffizienz (Bild: © Stefan Daub_Energy Robotics GmbH)

„Merck ist eines der ersten Unternehmen in Europa, das Spot testet. Das Pilotprojekt mit unseren neuen Partnern Energy Robotics und Boston Dynamics zeigt den Stand der autonomen Robotik“, sagt Hartmut Manske, Head of Automation & Robotics bei Merck. „Wir sind überzeugt, dass wir in hohem Maße von der Effizienz und Zuverlässigkeit fernüberwachter Missionen in unseren Werken profitieren werden.“ So kann der Roboter-Hund Treppen steigen und Rampen und enge Passagen problemlos durchqueren – als Standard „Nutzlast“ kommt Spot mit einer PTZ- (Schwenk-Neige-Kamera) und einer Wärmebildkamera.

Andere Sensoren, wie Gasdetektoren oder Akustik-Sensoren, werden individuell je nach Einsatzzweck ausgewählt und auf Anwenderwunsch integriert. Als Alternative zum Robo-Hund sind robuste Raupenroboter besonders in rauen und unwirtlichen Umgebungen erfolgreich, wenn auch nicht in Mehrstöckigen Anlagen. Dazu kommen immer häufiger auch autonome Drohnen, erklären die Darmstädter-Roboter-Experten - schließlich kann selbst Spot, Beine hin oder her, keine Leitern hinaufklettern.

Doch wie überzeugt man Anwender aus der Chemie von der Invasion der Roboter? Mit Zuverlässigkeit und Sicherheit, ist man bei Energy Robotics überzeugt: "Kunden aus der Chemie-Industrie sind sehr darauf bedacht, dass die Einführung eines Roboters für ihre Inspektionsaufgaben unter keinen Umständen die Sicherheitsvorkehrungen beeinträchtigt. Glücklicherweise können wir ATEX-zertifizierte Roboter anbieten, die für die Ex-Zone Typ 1 zugelassen sind. Auch beim Einsatz des Boston Dynamics Roboters Spot arbeiten wir erfolgreich mit Kunden wie etwa Evonik zusammen, um Ex-Sensoren und automatische Rückzugs-/Abschaltmechanismen des Roboters (der selbst nicht ATEX-zertifiziert ist) zu integrieren."

Auch die BASF hat sich Roboter-Unterstützung ins Haus geholt: In Ludwigshafen, einem der größten integrierten Chemiekomplexe der Welt mit über zehn Quadratkilometern Fläche, kommen testweise die vierbeinigen Anymal-Roboter des Züricher Unternehmens Anybotics zum Einsatz. Auch hier sind die autonomen Vierbeiner als Daten-Jäger und -Sammler in der Anlage unterwegs, wie BASF Automation Manager Peter Welter erklärt: „Die Automatisierung steht definitiv am Schnittpunkt unserer Digitalisierungsstrategie. Wir sind am Ende des Implementierungsprozesses, und die Robotik hat einen großen Beitrag geleistet“, betont Welter.

Der durch die Gefahr kriecht: Robotergesteuerte Wartungseinsätze in der Pipeline

Der Anymal-Roboter der Eidgenossen kostet pro Stück rund 150.000 Franken – doch wenn ein Roboter etwa regelmäßige Helikopterflüge zu entlegenen Produktionsstandorten in der Öl- und Gasindustrie einspart, amortisieren sich die Kosten der Robo-Vierbeiner schnell, sind die Macher überzeugt – so sehr, dass Anybotics bis 2030 mit über 100 verkauften Anymal rechnet, und das jedes Jahr.

Treppauf, treppab: Für Roboter mit Beinen kein Problem. Nur an Leitern scheitern die hilfreichen Vierbeiner noch. (Bild: Anybotics)

Schon heute erfüllen Spot und die anderen autonome Roboter Inspektionsaufgaben wie das Ablesen analoger Messgeräte, Gasdetektion, Wärmebildtechnik oder Geräuschanalyse genauso wie die Personen- und Objekterkennung. Damit die Blechkollegen sich nicht in der Anlage verlaufen, können Sie mittels Lidar eine 3D-Karte der Umgebung erstellen, während Sie für einen Einsatz 'trainiert' werden. Dieses Training besteht darin, dass der Roboter vor Ort verschiedene 'Missionen' lernt, die sie später selbstständig und ohne Unterstützung durch den Anlagenfahrer in der Leitwarte durchführen. Für die Zukunft ist geplant, dass die Bots komplett virtuell mittels eines Digitalen Zwillings trainiert werden können, bevor sie das erste Mal den Fuß in die Anlage setzen.

"Wir freuen uns, mit Evonik ein weiteres Unternehmen aus der Chemiebranche für uns gewonnen zu haben“, erklärt Marc Dassler, CEO von Energy Robotics. „Das Vertrauen in unsere Lösung ist für uns der beste Beweis, dass unsere Inspektionsroboter in vielen unterschiedlichen Industrien einsatzfähig sind.“ Der Einsatz selbst ist, wenn alle Sicherheitsaspekt geklärt und ein Inspektionsintervall festgelegt wurde, vergleichsweise einfach. Zudem ist der Roboter für die Betreiber leicht zu verstehen und bedienen, sodass sie selbst neue Anwendungsfälle entwickeln können

"Mit unseren KI-Anwendungen (den so genannten Skills) ist der Roboter in der Lage, Rohdaten (z. B. das Bild eines analogen Messgeräts) direkt in verwertbare Informationen umzuwandeln (Ablesen des Messgeräts)", erklären die Roboter-Spezialisten. "Alles, was der Mensch tun muss, ist, den Skill von unserer offenen Plattform, dem Skill Store, herunterzuladen (ähnlich dem App-Angebot für Smartphones)." Entdeckt der Roboter eine Anomalie, kann er etwa weitere Daten sammeln oder einen Echtzeit-Alarm auslösen. Nur Geräte, Apparate oder Armaturen in der Anlage zu bedienen übersteigt noch die Fähigkeiten der smarten elektronischen Helfer - noch. Geht es nach Dassler, werden zukünftige Roboter aber auch direkt eingreifen können, wenn es nötig ist.

Fragt man Dassler, betrifft das nicht nur die Chemie: überall da, wo Anlagen über eine weite Fläche verteilt, in rauer Umgebung oder einfach nur schlecht zugänglich sind, sind die unermüdlichen Roboter zuverlässige Augen und Ohren der Instandhalter. „Inspektionsroboter entlasten den Menschen von der Arbeit in gefährlichen Umgebungen. Sie übernehmen Aufgaben, denen der Mensch mittlerweile nicht mehr ausgesetzt sein sollte – nicht nur, weil sie ein gewisses Risiko für ihn bergen, sondern auch, weil er dazu beispielsweise schwere Ausrüstung über eine längere Strecke tragen muss“, so Dassler. Vom Umspannwerk bis zur Wasserkraft in den Alpen reicht das Einsatzgebiet der vielseitigen Blechbüchsen mittlerweile.

Der Smart Process Manufacturing Kongress ist die Netzwerk-Plattform für Fach- und Führungskräfte auf der sich IT- und Engineeringunternehmen mit Apparatebauern und Betreiberindustrien zum Thema Digitalisierung austauschen

Mit dem Exr-2, einem besonders robusten Raupenroboter von Exrobotics geht das bis in IECEx-/ATEX Zone 1, wie Dassler erklärt. Da die Elektronik komplett im Inneren verbaut ist, gewährleistet der ExR-2, dass seine Elektronik in sensiblen und explosiven Industrieanlagen keine Gase entzündet, der Kettenantrieb keine Funken schlägt und Sensoren keine potenziell gefährliche Wärme erzeugen. „Viele Anlagen in der Öl- und Gasindustrie sind unbemannt und funktionieren damit in der Regel reibungslos. Dennoch erfordern sie regelmäßige Kontrolle, die bislang meist doch noch beim Menschen liegt. Das birgt allerdings gewisse Risiken, auf gesundheitlicher und qualitativer Ebene“, erläutert Iwan de Waard, Co-Gründer und Director des Herstellers Exrobotics. „In Kombination mit der Steuerungssoftware unseres Partners Energy Robotics sind Unternehmen in der Lage, ihre Anlagen mit dem ExR-2 aus der Ferne zu überwachen und Inspektionsrundgänge autonom durchzuführen. So minimieren sie die Risiken für ihre Mitarbeiter, erkennen Gasaustritte oder Unfälle frühzeitig und können sie in der Regel vermeiden.“

Frühzeitig und vermeiden – bei diesen Stichworten dürften Instandhalter und Anlagenbetreiber hellhörig werden, ist doch die vorausschauende Instandhaltung seit Jahren in aller Munde. Zugleich kennen mehr und mehr Menschen Internet-Videos tanzender, hüpfender oder über Stock und Stein kletternder Roboter. Ob das schon die Invasion der Maschinen bedeutet? Jetzt ist es an Spot, Anymal und Co. zu zeigen, das die smarten Blechbüchsen auch jenseits von Laborumgebung und Youtube ihren Nutzern echten Mehrwert generieren. ●

Robo-Hund auf Rundgang: Chemieunternehmen setzt Roboter in der Instandhaltung ein

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